Auf der Couch mit Nive Nielsen

„Als Kind wollte ich Abenteurerin werden. Ich dachte, das sei ein Beruf“, erzählt mir Nive und lacht. Ihr Konzert war anscheindend nicht nur mein persönliches Highlight am diesjährigen Openair St. Gallen – das Publikum, aussergewöhnlich zahlreich an diesem Sonntagmittag, liess sich gerne von den schönen Klängen und dem lustigen Charme der Inuit-Frau aus Grönland hinreissen.

Ich hatte mir lange vor dem Festival Nive Nielsen aus zwei Gründen mit Leuchtstift angestrichen: Erstens lief bei mir ihre Musik, die auf Myspace zu hören ist, in Dauerschleife, und zweitens habe ich noch nie jemanden aus Grönland kennengelernt. Ganz besonders gefreut habe ich mich also, sie nach dem Konzert zu treffen.


Wer ist die Band, mit der du heute unterwegs bist?

Nive: Erstens bin ich hier mit meinem Freund Jan de Vroede. Die Besetzung der Band ändert sich fast mit jedem Konzert. In Kanada zum Beispiel waren wir mit 11 Musikern unterwegs. Hier am Openair St. Gallen spielen wir zusammen mit einer vierköpfigen Band aus Belgien.

Wie schafft es ihr den, so zu proben?

Nive: (lacht) Das machen wir meistens ziemlich spontan vor dem Konzert. Für St. Gallen hatten wir sehr wenig Zeit und mit dem Bass haben wir heute morgen auch zum ersten Mal geprobt. Das ist also alles eher improvisiert. Immerhin war es nicht so schwierig, wie mit der Band in Kanada. Dort haben die Musiker während des Konzerts sogar drei- oder viermal die Instrumte ausgetauscht. Aber ich sehe einen grossen Vorteil darin, immer wieder mit einer anderen Band zu spielen. So sind die Konzerte nie gleich, man kann nur immer hoffen: „Mach jetzt der Schlagzeuger auch wirklich, was ich will?“ Es sind allerdings alles sehr gute Musiker, da können wir meistens damit umgehen, wenn einmal etwas Unerwartetes passiert.

Du kommst aus Grönland, besser gesagt aus der Hauptstadt Nuuk. Sprech ich das richtig aus?

Nive: Ja, super! (lacht) Du sprichst das sogar akzentfrei aus.

Du bist aber auch viel gereist.

Nive: Ja, genau. Als Teenager wollte ich unbedingt raus aus Grönland, deshalb hab ich mich mit 16 bei einem Austauschprogramm angemeldet. Das hat dann aber nicht geklappt. Später hatte ich dann drei Jobs neben der Schule und habe sehr hart dafür gearbeitet, dass ich irgendwann endlich nach Zaragoza in Spanien gehen konnte. Später habe ich jeweils für längere Zeit in Norwegen, Kanada und England gelebt.

Was hast du denn, trotz der Zeit im Ausland, von deiner ursprünglichen Kultur beibehalten?

Jan: Etwas, was wir bestimmt beibehalten haben, ist unser Humor und unsere positive Sicht auf die Dinge.

Nive: Ja genau, wir freuen uns über jede Kleinigkeit: die Reisen, das Abenteuer, die Bäume. Ich meine, in Grönland gibt es keine Bäume, da ist ja alles ziemlich karg. Und jetzt sagen wir uns: Yay! Wir können zwei Tage lang in einem Bus sitzen. Das ist uns auch hier aufgefallen, als wir im Sittertobel angekommen sind: alles ist grün, überall gibt es Bäume!

Nive, du hast heute ja auch ein grönländisches Lied gespielt. Wovon handelt es?

Nive: Grob gesagt ist das Lied eine positive Sicht auf ein schwieriges Thema. In Grönland ist die Suizidrate ja sehr hoch und das Lied soll vielleicht eine Ermutigung sein, weiterzumachen und eben auch in schwierigen Zeiten nicht aufzugeben. Der Titel „Aqqusernit“ heisst übersetzt „Strassen“. Diese stehen symbolisch für all die – manchmal holprigen – Strassen, auf denen man gehen muss.

Mit welchen Schwierigkeiten sehen sich grönländische Bands konfrontiert, die auf internationalen Bühnen spielen wollen?

Nive: Wir sehen uns ja nicht so sehr als grönländische Band, sondern eher als Musiker aus Grönland. Bei uns war es aber schon so, dass wir so ziemlich die erste Band waren, welche die Musik macht, die wir machen. Das Problem dabei ist, dass man niemand hat, der einem sagt, wie das Musikbusiness funktioniert. Man fragt sich oft: Wie macht man das alles? Wie nimmt man ein Album auf? Da musst du irgendwie einfach alles versuchen.

Wir haben Kontakt zu diversen Musikern, die wir mögen und die uns in gewissen Dingen unterstützen können. Von denen haben wir wirklich viel gelernt. So hat zum Beispiel John Parish ein Album mit uns aufgenommen.

Und wie ist die Musikszene sonst in Grönland?

Jan: Man spürt schon, dass Grönland auch in dieser Hinsicht eine Insel ist. Der Musikstil ist sehr typisch. Ich mag vieles davon, aber es ist schon irgendwie so, als wäre die Entwicklung der Musik vor 30 Jahren stehengeblieben. Es gibt  neben der traditionellen Inuit-Musik hauptsächlich Bands, die an die 70er- oder 80er-Jahre erinnern.

Ausserdem gibt es in Grönland praktisch keine Plattenläden. Man kann nicht einfach irgendwo  in ein Musikgeschäft gehen und sich darüber informieren, welche Art Musik zur Zeit sonst auf der Welt angesagt ist. Vielleicht bietet das Internet noch eine Informationsplattform, aber ansonsten ist man gezwungen, viel zu reisen um mit seiner Musik einigermassen bekannt zu werden. Man muss sich vorstellen, dass Grönland nur 56’000 Einwohner hat. Das ist für MusikerInnen natürlich eine eher kleine Zielgruppe.

Nive, über dein grönländisches Lied „Aqqusernit“ haben wir ja schon gesprochen. Während des Konzerts ist mir aber noch der Song „Vacuum Cleaner Killer“ aufgefallen. Was hat es damit auf sich?

Nive: (lacht) Das Lied habe ich geschrieben, als ich London lebte. Und da war so eine Zeit, da war ich müde, hungrig, ich war wirklich schlecht drauf. Ich sass da im Bus und alles fühlte sich einfach nur falsch an. Und als ich nach Hause kam, waren da auch noch überall Käfer. Ich hasse Käfer! Es ist also ein Lied, das ich geschrieben habe, weil ich mich echt geärgert habe, gleichzeitig ist es aber irendwie auch ein lustiger Song über einen verrückten Tag in London, an dem ich mit dem Staubsauger am liebsten all diese blöden Dinge weggesaugt hätte.

Nive Nielsens Album „Nive Sings!“ ist auf iTunes wie auch in den Plattenläden erhältlich. Klingt wie: Nouvelle Vague, Cat Power, Nina Persson, etc.